Cheng, Chiung-ming
Gedanken in Weiß
Gedichte aus Taiwan
2019 · ISBN 978-3-86205-613-2
192 Seiten, 7 farbige Abb., geb., EUR 20,—
Zweisprachige Ausgabe Chinesisch / Deutsch
Aus dem taiwanischen Chinesisch übersetzt
von Thilo Diefenbach
Cheng Chiung-ming wurde 1948 in Kaohsiung (Taiwan) geboren. Er studierte Medizin und
arbeitete anschließend bis zu seiner Pensionierung 2014 als Arzt in Krankenhäusern und einer privaten
Praxis. Seine ersten Gedichte veröffentlichte er 1964 in der renommierten Literaturzeitschrift
»Bambushut« (Li shih-k'an). 1982 rief er das Journal »Welt der Literatur« (Wen-hsüeh chieh) ins Leben und 1991 »Literarisches Taiwan« (Wen-hsüeh T'ai-wan). Der Band
Gedanken in Weiß stellt – im Original und in Übersetzung – über sechzig seiner Gedichte vor, die
seinen sieben zwischen 1971 und 2018 erschienenen Werken entnommen sind. Während Cheng
in seiner frühen Lyrik oft Erfahrungen aus seinem Arbeitsalltag aufgriff, wandte er sich später politischen
Themen zu, und zwar häufig in einer Weise, die zu Zeiten des Kriegsrechts (1949–1987)
durchaus riskant war. Seine jüngeren Gedichte widmen sich der Frage nach Tod und Vergänglichkeit.
Der Augenzeuge
Ich bin Augenzeuge
Einer Tragödie
Seit dem Prolog, seit dem ersten Akt
Bin ich Augenzeuge
Mit scharfem Blick
Beobachte ich jeden Aspekt der Wirklichkeit
Und wenn ein Mensch in einer dunklen
Straßenecke seufzt und weint
Ganz heimlich weint,
Dann bin ich Augenzeuge
Muss ich weiterleben
Wie ein gefangener Fisch
Und Zeugnis ablegen für die gedemütigten Seelen
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