Japanische
Gesellschaft für Germanistik (Hg.)
Rituale des Verstehens – Verstehen
der Rituale
Beiträge des Vierten Internationalen Kolloquiums der
Japanischen Gesellschaft für Germanistik an der Doshisha-Universität, Kyoto
9.–10. Oktober 2005
2006 • ISBN 978-3-89129-537-3 · 244
Seiten, kt. · EUR 25,—
Wir fassen Rituale als Kommunikationsarten auf, die das gesellschaftliche
Miteinander regeln. Unser Blick auf das Phänomen ist zunächst genealogisch.
Wir betrachten Rituale in ihrem historischen Kontext, wobei konstatiert
wird, daß die säkulare Gesellschaft offensichtlich zunehmend zur
Entritualisierung tendiert oder alternative Rituale formuliert. Der Rahmen
unseres Beobachtungsfeldes beinhaltet neu eingeführte rituelle Zeremonien in
den politischen Praktiken der modernen Nationalstaaten sowie neue rituelle
Bräuche im modernen Leben wie etwa die Jugendweihe der DDR oder die
Seijinshiki (Jungbürgerfeier) in Japan. Eine wichtige Achse unserer
Betrachtungsweise ist zudem die inter- oder transkulturell vergleichende
Perspektive, wie sie sich in der letztgenannten Themenstellung spiegelt. Was
läßt sich über Bedingungen und Möglichkeiten des Verstehens von Ritualen
sagen? Der kulturvergleichende Blickwinkel erfordert ein hohes Maß an
bewußter Reflexion der Rituale. Diese verstehen wir als performativ
bestimmt. Die Sichtung ihres Kontextes ist unabdingbar. Deshalb betonen wir
die Metaebene: Inwiefern baut der Akt des Verstehens selbst bereits auf der
Praxis des Rituals auf, bzw. wird durch ihn vorgeformt? Als thematische
Konstanten werden folgende Fragestellungen formuliert: Rituale und Ordnung,
Rituale und Kultur, Kommunikation durch Rituale und Kommunikation von
Ritualen. Spezifischer formuliert, wurden die kulturstiftende Funktion von
Ritualen, die symbolische Kommunikation durch Rituale, Rituale als
kulturelle „Einprägung“, gruppen- oder kulturspezifisches rituelles
Verhalten, Ausübung von Macht durch Rituale in Herrschaftssystemen, aber
auch zwischen den Geschlechtern, innerhalb sozialer oder kultureller Gruppen
sowie der Aspekt neuer Rituale im Medienzeitalter in den Vordergrund
gestellt. Die Beiträge des Symposiums besitzen eine große Bandbreite. Sie
befassen sich mit Literatur, Theater, Film, aber naturgemäß auch mit
theoretischen Erwägungen, dazu mit Sprechritualen, mit der Mode und mit dem
Internet. Daß wir am Ende des Symposiums zu der Formulierung eines
„ritualisierten Nicht-Verstehens“ (so der Titel eines Vortrags) kommen
werden, hoffe ich jedenfalls ausschließen zu können; dementiert sei also im
Vorfeld der akademischen Interaktion schon einmal eine Prämisse möglicher
grundsätzlicher Nichttransponierbarkeit von deutschen und japanischen
Kommunikationsritualen.
Inhalt
Nobuo Ikeda
Rituale des Verstehens – Verstehen der Rituale
Hans-Georg Soeffner
Rituale in pluralistischen Gesellschaften
Rüdiger Görner
Prolegomena zu einer Ästhetik der Wiederholung
Yumiko Washinosu
Was die Mode konstruiert. Gender und die Bildung der japanischen Nation
Yun-Young Choi
Phänomene und Bedeutungen des Schweigens für das buddhistische Ritual. Der
Film Warum Bodhi Darma in den Orient aufbrach und das Vimalak īrti
Sūtra
Jürgen Fohrmann
Hermeneutische Rituale? Über Konzepte des Verstehens und ihre Beziehung
zum Ritual
Seiji Hattori
„Vergleichen" als ein Ritual des Verstehens aufgrund des
Ähnlichkeitsdenkens? Überlegungen zu einer literaturwissenschaftlichen
Verfahrensweise am Schnittpunkt von Hermeneutik, Dekonstruktivismus und
Kulturwissenschaft
Mechthild Duppel-Takayama
Ritualisiertes Nicht-Verstehen. Wissenschaftsstil und Textmuster in Japan
und Deutschland
Jochen Hörisch
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Rituale und Medien
Peter Kern
Blick-Kontakte in der mittelhochdeutschen Literatur
Robert F. Wittkamp
Ritual und waka-Dichtung: eine Forschungsskizze
Jörg Roche
Rituale des online-Lernens
Akio Ogawa
Wie fest sind die Rituale der „Fashions of Speaking"? Ein
deutsch-japanischer Vergleich aus sprachtypologischer Sicht
Shin Tanaka
„Hiermit erkläre ich Sie kraft Gesetzes für rechtmässig verbundene
Eheleute."
Eine kontrastive Studie zum „rituellen" Sprechakt
Eva Neuland
Alltagserzählungen als Rituale intersubjektiver Verständigung. Zur
Einführung: Alltagsgespräche, Alltagserzählungen – „erstarrte Rituale"?
Alice Bolterauer
Rituelle Sinnstiftung bei Adalbert Stifter
Christine Ivanovic
Entritualisierung des Gedenkens. Überlegungen zu Peter Eisenmanns
Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Mit einer vergleichenden
Fallstudie zu Maya Ying Lins Vietnam Veterans Memorial
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